Freitag, 20. Juli 2007

Der Ekel, das Sein und das Nichts



„Das Wesentliche ist die Kontingenz. Ich will sagen, dass die Existenz ihrer Definition nach nicht Notwendigkeit ist. Existieren, das ist dasein, ganz einfach; die Existierenden erscheinen, lassen sich antreffen, aber man kann sie nicht ableiten. Es gibt Leute, glaube ich, die das begriffen haben. Nur haben sie versucht, diese Kontingenz zu überwinden, indem sie ein notwendiges und sich selbst begründendes Sein erfanden. Doch kein notwendiges Sein kann die Existenz erklären; die Kontingenz ist kein Trug, kein Schein, den man vertreiben kann; sie ist das Absolute, folglich die vollkommene Grundlosigkeit.“ (Der Ekel, 1938)

Ein paar unsortierte Gedanken über Sartre: „Wenn Gott nicht existiert ist alles erlaubt“ (Dostojewski). Und laut Sartre gibt es keinen Gott, kann es ihn schlichtweg nicht geben. Die menschliche Grundsituation ist also die einer Geworfenheit, wir haben nicht gewählt zu existieren, aber wir tun es nun mal. Dabei geht die Existenz der Essenz voraus, d.h. wir sind dazu gezwungen, uns ein eigenes Wesen, eine eigene Identität zu erschaffen.

Nichts ist gewiss, alle Wege sind offen. Die wesentliche Bedingung unserer Lebensform ist deshalb die der Freiheit, wir sind nicht determiniert, aber wir müssen uns dennoch in die Masche des Determinismus zwängen, Sartre nennt das den „Widrigkeitskoeffizienten der Dinge“, der Mensch ist eben ein soziales Wesen und deshalb gezwungen, sich an gesellschaftliche Bedingungen anzupassen und sich in sie hinein zu fügen. Die wesentliche Bedingung dieser Freiheit ist das „Für-Sich-Werden“, das Erschaffen einer eigenen Identität, eines eigenen Seins. Unsere Freiheit ermöglicht uns dabei zunächst die „Nichtung“, d.h. Dinge abzulehnen, sie ist also zunächst eine negative.

Die Konsequenz aus dieser existenzialistischen Sicht ist die einer totalen Verantwortlichkeit. Zunächst einmal für sich selbst, letztlich jedoch auch für die ganze Menschheit. Die erste und zentrale Absicht des Existenzialismus ist es deshalb, den Menschen in den Besitz seiner selbst zu bringen und ihm die totale Verantwortung für seine Existenz aufzubürden.

Und als ob das nicht genug wäre, meint Sartre auch „wenn wir sagen, der Mensch wählt sich, verstehen wir darunter, jeder von uns wählt, doch damit wollen wir auch sagen, sich wählend wählt er für alle“. Jeder Mensch ist also eine Möglichkeit, ein Beispiel der Humanität und deshalb für alle verantwortlich, weil er durch seinen Weg ein Vorbild für andere nicht nur sein kann, sondern stets auch ist.

Doch der Mensch möchte nicht wirklich frei sein, weil er dadurch gezwungen ist, Fragen zu stellen, sich zu entscheiden. In der gottlosen Welt ist deshalb die Angst der Normalzustand, es gibt ja schließlich keine Gewissheiten. Und weil dieser Zustand unerträglich ist, fliehen die Menschen, um der permanenten Angst zu entgehen, in die Unaufrichtigkeit. Nur – unserer Verantwortung können wir uns NIE entziehen, denn selbst für das Verlangen, aus dieser Verantwortlichkeit zu fliehen sind wir schließlich verantwortlich.

Sartre geht soweit zu sagen, dass wir mit jeder Entscheidung, die wir treffen auch total für sie verantwortlich sind. Das heißt zum Beispiel für einen Soldaten im Krieg, dass er sich mit der Entscheidung, an ihm teilzunehmen, diesen als SEINEN, und nur seinen Krieg zu betrachten hat, weil er mit allen Konsequenzen leben muss!

Diese ziemlich radikale „Moral“ ist nur vor dem Hintergrund seiner Zeit zu verstehen, denn die Erfahrung des Weltkrieges, der Zusammenbruch jeglicher Ordnung, der Verlust aller Gewissheiten ist wohl ein spezifisches Phänomen seiner Generation. Ein großer Kritikpunkt an Sartre war stets, dass sich mit seinem Freiheitsverständnis ALLES rechtfertigen lässt, schließlich geht es ja nur darum, sich gegenüber sich selbst zu verantworten, der einzelne Mensch, und nur er ist der Maßstab. Welches Beispiel er dabei für den Rest der Menschheit abgibt, steht ihm absolut offen.

Für die wenigsten folgt daraus natürlich ein Altruismus, viele werden wohl eher einen radikalen Egoismus davon ableiten können. Und für den Soldaten im Krieg kann die Entscheidung, ob er desertieren soll oder nicht, ja auch nur zu einer essenziellen werden, wenn er bestimmte Moralvorstellungen besitzt. Da es aber keine absolute Moral gibt, stehen ihm hier ja auch wieder alle Wege offen.

An diesem Punkt ist der gute Herr Sartre absolut widersprüchlich, weil er ja implizit doch eine Moral voraussetzt, die er doch eigentlich zu negieren vorgibt. Sartre hat darauf mit seinem Essay Ist der Existentialismus ein Humanismus? reagiert, der diese Widersprüche allerdings nur bedingt auflösen konnte.

Ich hatte mal eine sehr interessante Diskussion über den Existenzialismus, in der wir nach und nach Sartre zerlegt haben. Leider kann ich mich nicht mehr genau daran erinnern, aber es schien mir sehr schlüssig zu sein, dass man Sartre mit Sartre widerlegen kann, sofern man ihn zu Ende denkt. Und letztlich ist das ein Problem aller Philosophie. Nichts ist absolut, alles relativ, und am Ende bleiben stets mehr Fragen als Antworten. Man sollte eben nie mit einem solchen Anspruch an die Philosophie herantreten, weil man ansonsten verzweifelt und Gefahr läuft zum Nihilisten zu werden…

„Luzide, reglos, verlassen ist das Bewusstsein zwischen Mauern gesetzt; es dauert. Niemand bewohnt es mehr. Eben noch sagte jemand ich, sagte mein Bewusstsein. Wer? Draußen gab es sprechende Straßen, mit bekannten Farben und Gerüchen. Zurück bleiben anonyme Mauern, ein anonymes Bewusstsein. Das gibt es: Mauern und zwischen den Mauern eine lebende und unpersönliche kleine Transparenz. Das Bewusstsein existiert wie ein Grashalm. Es döst, es langweilt sich. Flüchtige kleine Existenzen bevölkern es wie Vögel die Zweige. Bevölkern es und verschwinden. Vergessenes Bewusstsein, im Stich gelassen zwischen diesen Mauern, unter dem grauen Himmel. Und das ist der Sinn seiner Existenz: dass es Bewusstsein davon ist, zuviel zu sein. Es löst sich auf, es zersplittert sich, es sucht sich auf der braunen Mauer zu verlieren, an der Laterne dahinten, im Abenddunst. Aber es vergisst sich nicht. Es ist Bewusstsein davon, ein Bewusstsein zu sein, das sich vergisst. Das ist sein Los.“ (Der Ekel)

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