Mittwoch, 11. Juli 2007

Down with the sickness



Da verfolgt man deutschen Hip Hop nur noch am Rande, denkt, es passiert eh nichts essenzielles mehr – und dann wird man innerhalb von wenigen Tagen aus der Lethargie gerissen: Erst waren da die Jungs von Aggro Grünwald, dann ein gewisser B-Tight, dann G-Hot und letztlich die Jungs von Hirntot Records. Aber eins nach dem anderen…

Zu Beginn das netteste, Aggro Grünwald: Eigentlich nicht der Rede wert, ein Scherz, eine satirische Reaktion auf Aggro Berlin in Form der „Stehkrägen“, die verkündeten: „Eure Armut kotzt mich an“. Oder meinten es da manche doch ernst? In der SZ war gestern etwas zu lesen über die Hintergründe, u.a. der Domain, die betrieben wird von einer Aktiengesellschaft namens Levitian: "Da liest man die Namen Ludwig von Bayern und Severin Meister - und da pfeifen Kenner des Münchner Hochadligen- und Superreichen-Milieus dann doch durch die Zähne. Hier agiert nicht nur die jüngste Generation der Wittelsbacher, sondern auch die der Habsburger."...

Über B-Tight viele Worte zu verlieren wäre gleichermaßen überflüssig. Deshalb lasse ich die taz sprechen: "Tatsächlich spielt B-Tight wohl mit so sämtlichen Klischeebildern, die es über schwarze Menschen jemals gegeben hat. Der Berliner Rapper, der bürgerlich Robert Edward Davis heißt, inszeniert sich zum triebgesteuerten und überpotenten Urtier. Seine Stücke tragen wenig feinsinnige Titel wie "Zack! Zack!", "ein Schlag" oder "In den Mund!!!", und so klingen sie auch. Die Darstellung ist allerdings völlig überzeichnet: auf dem Cover seines Albums posiert er als eine Art Kannibale, der gerade einem Weißen den Kopf abgehackt hat." Seine Provokation als triebgesteuerter „Neger“ wird nun inzwischen innerhalb der Szene selbst kritisiert. Der Rassismus, den er sich selbst auferlegt hat und scheinbar nicht einmal zu begreifen scheint, stößt inzwischen so einigen der alten Garde sauer auf.

Nun das eher unerfreuliche: G-Hot (was nicht gerade ungewollt nach Djihad klingt), der Homophobie zum Prinzip erhoben hat: „Keine Toleranz" / wir dulden keine Schwuchteln“. Da rappt sich einer den Frust von der Seele, überall von Homos belästigt zu werden, „es gab Zeiten, da wurdn sie mit der Axt halbiert“. Eben jene scheint sich der leidlich sympathische Kerl wohl zurückwünschen und skandiert die Vertreibung der Homosexuellen. Das war selbst den ewigen Provokateuren von Aggro Berlin zu heftig, weshalb er inzwischen aus diesem illustren Kreise entlassen wurde. 

Und schließlich die Jungs von Hirntot Records. Allein der Name dürfte eigentlich disqualifizierend genug sein… Wer sich die Mühe macht, mal einem der „Songs“ des Labels zu lauschen, der wird seine wahre Freude haben an „Todesschwadron“ oder „Hirntot Elite“, die Gewaltfantasie an Gewaltfantasie reihen. Ein Beispiel: "misanthrop und geisteskrank / mit dem skalpell in der hand / fahr ich durch die gottverdammte stadt / ich hab euch ficker satt / geh nen schlitzen in der u-bahn /augenstechen in der s-bahn / köpfe spalten auf dem bahnsteig / knochen brechen wie im wald / dr jekyll ist bekannt, dr jekyll ist verrückt / ich bin die chirurgin, die patienten mit dem tod beglückt / wo zum teufel komm ich her, wo zum teufel geh ich hin / mit dem skalpell in der hand suche ich nach einem sinn." Im Prinzip nichts wirklich Neues, gerade im Untergrund sind Sex und rohe Gewalt schon lange das dominierende Thema. Doch zumindest einigen unter ihnen scheint ihr Gesäusel wohl etwas zu sehr in den Kopf gestiegen zu sein. Nach einer Morddrohung wurde die Polizei aktiv und wurde auch fündig. Unter den beschlagnahmten Waffen befand sich ein Maschinengewehr…

Fazit: Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, hier einen Patient im Todeskampf zu sehen. Mit den Generationen verschwand auch mehr und mehr das Wissen, was Hip Hop ist, woher er kommt und wohin er will. Eine grundsätzlich emanzipatorische Sache hat inzwischen in weiten Teilen eine zutiefst reaktionäre Entwicklung eingeschlagen.

8 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

lieber herr zeittotschläger,
deine vermutung es passiere nichts essentielles mehr hat sich durch diesen artikel bzw die gefeatureten "artists" doch wohl bestätigt.abgesehen vom dummen inhalt sind allesamt raptechnisch einfach nur unterirdisch.naja youtube sei dank wird es wohl immer noch dümmere und schlechtere beiträge zum verfall der deutschen rapkultur geben.hoffentlich macht der pimplegionär bald mal wieder was cooles^^.btw ob sich eko frisch auch schon der hirntod crew angeschlossen hat?

just me hat gesagt…

der herr pimplegionär, hat längst das was man "untergrund" nannte verlassen und rappt inzwischen selber für "haus und boot", bzw lässt für "haus und boot" geld eintreiben über den illusten abmahnwahn der plattenindustrieanwälte und ihrer scheinbar fähigen antipiracy industrie. aber das nur mal so am rande. das schwerwiegende problem dem die subkultur gegenübersteht ist das sich da 2 mehr oder minder verschiedene entwicklungen vollzogen haben. zum einen gibt es auch heute noch leute die eine ähnliche richtung und attitüde haben wie ehemals unsere alten recken. die nachfrage nach diesen produkten besteht auch immernoch, aber eben genau auf dem selben level wie es zu unserer zeit war, als es noch advanced chemistry , anarchist academy und konsorten gab. die zweite richtung die hiphop eingeschlagen hat, ist die aggressivere, massenkompatible, kommerziellere schiene, die durch provokation und tabubruch eben ihre käuferschicht in der alterschicht zwischen 15 und 25 findet und diese und teils andere anspricht. das manche kandidaten davon tatsächlich talent besitzen sei mal dahingestellt. allerdings ist diese art des hiphop eher mit "rebellische subkultur" als mit "musikalischorientierte subkultur" zu labeln. ähnliche phänomene finden wir auch im rock zB. bei den böhsen onkelz. die finden ihre fangemeinde ja auch nicht weil sie gute musiker sind oder besonders tiefsinnige texte schreiben, sonern eben provozierten und ein tabuthema waren lange zeit. das die texte sowohl bei diesen als auch beim aggressiven hiphop, in die konstruierte pubertiertende wirklichkeit aus missverstanden werden und verletzt und unterdrückt sein, ansprechen und treffen ist der letzte ausschlag für den erfolg.

Anonym hat gesagt…

"Doch zumindest einigen unter ihnen scheint ihr Gesäusel wohl etwas zu sehr in den Kopf gestiegen zu sein. Nach einer Morddrohung wurde die Polizei aktiv und wurde auch fündig. Unter den beschlagnahmten Waffen befand sich ein Maschinengewehr…"

... dass das Maschinengewehr sowie sämtliche anderen gefundenen Waffen entmilitarisiert und demzufolge nicht gebrauchsfähig waren, wie man dem Polizeibericht entnehmen kann, und dass die Waffen, wie bei anderen Rappern z.B. Goldketten, Hängehosen und Caps, zum optischen Konzept des Labels gehören, lässt Du dann auch mal lieber unerwähnt, nicht wahr?
Ist ja auch viel einfacher auf den mit Vollgas durchs Land rasenden "Huhuuu, der böse Hiphop ist nicht mehr das, was er mal war"-Zug zu springen und ins gleiche Horn wie die taz, Zeit etc. zu blasen.
Das weitverbreitete Vorurteil, Rap müsse sozialkritisch, politisch und politisch korrekt sein, ist auf eine sehr konservative Kunstauffassung zurückzuführen.
Waren etwa NWA mit "Fuck Tha Police" politisch korrekt? Oder The 2 Live Crew?! Ice Ts "Cop Killer"? Die ganzen Oldschool-Trueheads (oder wie sie sich zu nennen pflegen) scheinen gerne mal zu vergessen, dass Rap nicht nur von De la Soul, KRS-One und Jungle Brothers gemacht wurde, und dass auch Texte von Public Enemy oder Ice Cube eine Menge Ressentiments gegen Weiße auffahren - aber das ist für den stereotypen deutschen linkskonservativen Hiphop-Hörer natürlich okay.
Und wenn die Brother Keepers in ihrem Song "Adriano: Letzte Warnung" Zeilen wie "Ich sage K, sage Z, sage Nazis rein" fabrizieren, dann ist das supertoll und wird sogar von Claudia Roth (Grüne) supportet - wenn Dr. Jekyll singt, sie wolle alle Menschen töten, weil sie sie satt hat, dann ist das dagegen verwerflich..?!

Mathias Ellwanger hat gesagt…

Alright, Hip Hop und political correctness passen einfach nicht zusammen - soweit sind wir uns wohl einig. Aber dass diese Kultur immer viele Facetten hatte, das wirst du wohl genauso einsehen. Was ich eigentlich so bedauernswert finde ist, dass das Bewusstsein dafür, dass aus daraus AUCH etwas emanzipatives (neben all dem bling-bling und clack-clack) entstehen kann, verlorengegangen zu sein scheint.

Sicher, Hip Hop war schon immer provokativ, dreckig, fies und gegen das Establishment, aber inzwischen meine ich einfach festzustellen, dass (gerade im deutschen Hip Hop) an die Stelle von Freshness, Style, Skillz und Einfallsreichtum das alleinige Kriterium des Extremen getreten ist.

Sicher, NWA und Ice-Cube (eine der ersten Vertreter des Gangsta-Rap) waren sicherlich nicht zimperlich, haben mit Beleidigungen auch nicht gespart, aber sie waren EIN Teil der Szene, damals zudem auf dem technischen Höhepunkt der Zeit. Heute aber sehe ich (übrigens auch im Amirap) eine Dominanz des Materiellen, des Extremen, nicht der Kunst. Ich habe nichts gegen extreme, provokative Rapper, ich schätze etwa KKS oder den Wu-Tang Clan durchaus, aber zum einen, weil die Kunst mehr zählt(e) als das Geld und zum anderen weil ich zumindest ansatzweise eine ironische Distanz zu Gewaltexzessen erkannte.

Was die Hirntot-Crew verbreitet ist a. raptechnisch unheimlich mies und b. völlig undistanziert, es ähnelt eher einer Ansammlung von Psychopathen, denn einer Rapcrew. Ich schätze etwa auch den guten Herrn Taktlo$$, der mehr als eine provokante Punchline rausgehauen hat, aber das hatte Style und Distanz.

Und wenn du mit der Distanz nichts anfangen kannst, alright. Die Wu-Tang-Typen und viele mehr WAREN oder SIND Gangster, aber das hat zehnmal mehr Realness als all die Halbstarken aus BRD, die ihr persönliches Scheitern auch noch zu einem unerträglichen Heroismus stilisieren.

Ergo: deutscher Hip Hop ist heute nicht mehr real, weil er sich nicht mehr darum schert. Das einzige, was zählt ist, wie KRASS einer ist. Richtig rappen ist egal, der Gedanke der Gewaltlosigkeit durch Rapbattles (und jetzt erzähl mir nichts von East- oder Westcoast) ist solchen Menschen völlig fremd.
Ich kritisiere also nichts mehr als die Degeneration einer Kultur zu einer von ihren Wurzeln mehr oder wenig getrennten POP-Kultur, mehr nicht...

Anonym hat gesagt…

Zunächst einmal find ich es sehr gut, dass man mit Dir anständig diskutieren kann und danke dir für deine Antwort.
Dann inhaltlich: Die Parameter für "guten Hiphop", die du aufstellst, ich zitiere: "Freshness, Style, Skillz und Einfallsreichtum", sind DEINE Parameter und wahrscheinlich auch die der meisten deutschen Raphörer - aber sie sind NICHT absolut. Es ist vielleicht verständlich, dass im Land der Dichter & Denker genau diese Eigenschaften des Importprodukts "HipHop" sich am meisten durchgesetzt haben - aber dennoch gibt es dutzende andere Parameter, anhand der man gute Rapper ausmachen kann: Stimme, die Fähigkeit Atmosphäre zu erzeugen, Charisma, Rapgeschwindigkeit... es ist klar, dass nach DEINEN Parametern die Hirntot-Leute nicht gut rappen, aber wer auf bestimmte Atmosphären oder außergewöhnliche Stimmen steht, mag daran gefallen finden.
Deine Einstellung zur ironischen Distanz zu Gewaltexzessen nehme ich zur Kenntnis, weise aber daraufhin, dass die nicht zwingend nötig ist - es ist eine Geschmacksfrage. Und zweifellos kann man Taktlo$$ und Hirntot in dieser Hinsicht nicht vergleichen. Der eine mag die eklig-lustige Monthy-Python-Szene, in welcher der Vielfraß im Restaurant kotzt, frisst und schließlich platzt, der andere schaut eben gerne Kannibalen- oder Zombiefilme.
Aber zurück zum Rap: Den Unterschied zwischen den "echten Gangstern" drüben und den "Halbstarken" hier verstehe ich in deinr Argumentation nicht. Willst du abstreiten, dass es in deutschen Großstädten Problemviertel gibt? Willst du sagen, dass Gang-Mentalität ein rein amerikanisches Phänomen ist? Den einzigen Unterschied, den ich ausmachen kann, ist dass die Gewaltbereitschaft (auch aufgrund der Schusswaffen etc.) in USA höher ist. Aber wo, bitte, unterscheidet sich der durchschnittliche schwarze Jugendliche in der Bronx von einem durchschnittlichen arabischen/türkischen/albanischen Jugendlichen in Berlin-Neukölln? Beide werden von der Gesellschaft mit dem gleichen Argwohn beäugt, haben wirtschaftlich wenig Chancen ihrer Situation zu entkommen und stellen einen großen Prozentsatz im Strafvollzug. Und wenn jetzt der Ami rappt, ist er ein Gangsta, wenn es der in Deutschland lebende Türke o.ä. macht "nur" ein Halbstarker...?!?
Genau diese von dir formulierte Einstellung ist m.E. mit Schuld daran, dass Gangsta-, Horror- und Pornorap (ich bitte dort zu differenzieren ;)) momentan diesen Boom erlebt: Seit den Anfängen der Fanta 4 wurden diese Formen des Raps systematisch unterdrückt und irgendeine in Hamburgs Mittelschichtvierteln wohnende Hiphop-Elite wurde nicht müde zu wiederholen, dass wir hier keine amerikanischen Verhältnisse hätten. Der Porno- und Gewaltrap würde nicht mit einem mal so dominant auftreten, wenn er sich neben dem, ichsagemal, Spaß-Battle-Skill-Party-Sozialkritik-Rap hätte normal entwickeln dürfen.
Nimmt man Rap, um wieder den Bogen zum Anfang zu schlagen, mal eben NICHT als Sammelsurium von "Freshness, Style, Skillz und Einfallsreichtum", sondern als Sprachrohr und Mitteilungsform einer gesellschaftlichen Schicht, die sich anders nur schlecht artikulieren kann, dann ist auch der Materialismus erklärbar (der übrigens im amerikanichen Rap schon IMMER Gang & Gebe war, bedenke die Covers von Run DMCs ersten Platten, blingbling! ;)).
Ich bestreite nicht, dass viele Underground Rap-Acts aus den bereichen Gangsta, Porno etc. diskutabel sind, aber ich finde es schlichtweg sehr mainstream und establishment-hörig, ihnen die Existenzberechtigung abzusprechen oder sie als schuldig an der "Degeneration einer Kultur" zu be- und verurteilen.
In den USA waren die Leute nie so verkrampft. Krs-One hatte kein Problem mit Tim Dog zu rappen, Big Daddy Kane mit ODB und dass die 2 Live Crew ständig nur sehr holprig vom Ficken gelabert hat, hat zumindest in der amerikanischen Hiphop-Community niemanden gestört - während die Trueheads hierzulande gegen Acts wie Frauenarzt wettern, dass es nicht mehr schön ist...
Gruß

Mathias Ellwanger hat gesagt…

Alright,
deine Parameter sind in der Tat völlig andere als die meinigen – und wie du meinst der Mehrheit der Hörer. Und du hast völlig Recht, dass ich mit den deinigen recht wenig anfangen kann, weil ich sie als alleinige völlig unzureichend empfinde, gerade weil ich sowohl beats- wie raptechnisch eine Stagnation, wenn nicht gar einen Rückfall konstatieren würde. Wie gesagt: wichtig ist nicht mehr, WAS einer erzählt oder wie GUT er das macht, sondern wie KRASS er das rüberbringt. Aber Hip Hop war schon immer, was DU draus machst, eine offene do-it-yourself-Kultur, die sich immer wieder von neuem erfand und es mit Sicherheit auch in Zukunft tun wird. Deshalb möchte ich aus ausdrücklich darauf hinweisen, dass ich den von dir geschätzten Künstlern keineswegs das Existenzrecht absprechen möchte, mir sind sie nur zutiefst suspekt, und das aus künstlerischer, ästhetischer, soziologischer und politischer Sicht.

Und sicher mag es auch etwas mit meiner Sozialisation zu tun haben, dass ich ironische Distanz (zumindest was diese Sprachvergewaltigungen angeht) immer mehr schätzte als undistanzierte Selbststilisierung. Und vielleicht bin ich da in der Tat etwas zu nah am Establishment (es musste ja irgendwann so kommen…). Falls du mal etwas von Bourdieu gelesen haben solltest, dürfte dir auch klar sein, weshalb dies so ist (auch wenn ich keineswegs aus bürgerlichem Hause stamme). Andererseits stellte die Realness schon immer ein enorm wichtiges Kriterium im Hip Hop dar, denn über Ghettos und Knast zu rappen, ohne selbst diese Erfahrung gemacht zu haben, hat (wie der Schwabe sagen würde) ein Gschmäckle.

Und wenn du dich jetzt fragst, weshalb ich viele dieser deutschen Gangstarapper für Halbstarke halte, dann erklärt sich das auch aus dem Unterschied zwischen der deutschen und der us-amerikanischen Gesellschaft. Alleine die lange und oft leidvolle Geschichte der Schwarzen in den USA, die traditionsreiche Einordnung in eine sehr reiche und vielfältige schwarze Musiktradition von Blues über Rock’n’Roll, Jazz, Soul und RnB, die
selbst heute noch in der Musik lebt und in Samples, Zitaten, Referenzen und eben einer guten Dosis Soul seinen Niederschlag findet, lässt sich einfach nicht vergleichen mit der deutschen Situation. Dass auch wir eine Menge Probleme haben will ich gar nicht unterschlagen, dass auch hier viele in den grauen Vorstädten ausgegrenzt sind und sich aus der Mehrheitsgesellschaft kulturell und ästhetisch ausklinken, lässt sich ebensowenig wegreden.

Aber Hip Hop in den USA war und ist (wenn auch nicht mehr im selben Maße wie einst) etwas organisches, gewachsenes, reales. Hip Hop in Deutschland – und gerade jener aus Berlin – ist unheimlich traditionslos, grenzt sich auch in starkem Maße ab von den ersten drei Generationen, also ein Hip Hop Phänomen sui generis. Das resultiert auch darin, dass er nicht die Urbanität etwa auch des französischen Hip Hop erreicht, sondern ziemlich deutsch und provinziell klingt. Für genauso provinziell halte ich auch die Kleinkriminellen, die darin ihre Ausdrucksform gefunden haben. Dass sie sich in ihrer Musik nun als die größten Gangsta stilisieren, finde ich deshalb lächerlich. Dass Gang-Mentalität auch in Deutschland inzwischen Fuß gefasst hat, ist bedauernswert und schlägt sich selbstverständlich auch in der Musik nieder. Hip Hop ist eben auch immer ein Spiegel der Zeit, und die werden eben härter.

Nun kann ich ja diesen Menschen schlecht ihr trauriges Leben zum Vorwurf machen. Ihre traurige Musik, in der sie sich (in teils unerträglicher Weise) stilisieren aber sehr wohl. Nichts gegen Gangstarap, auch nichts gegen Porno- oder Horrorrap, das ist einfach nicht mein Ding. Aber diese, wie du selbst zugegeben hast, ungesunde Entwicklung und Fixierung auf diesen destruktiven Lebensstil, geht mir einfach gegen den Strich. Ich will jetzt gar nicht die unselige Diskussion beginnen, inwiefern durch Rapper role-models generiert werden, aber ganz abstreiten lässt sich das ja nun nicht. Und wenn diese außer bling bling, homophoben, holprigen Reimen, beschränktem Sprachwortschatz und einer ekelhaft-reaktionären Machokultur nichts propagieren, dann tut es mir leid, aber dann ist von der ursprünglichen Kultur nicht mehr viel übrig geblieben außer der immer schon vorhandene Materialismus. Und einer Hörerschicht, die für gewöhnlich eine undistanzierte und in die eigene Lebenwelt integrierte Konsumform von Kultur pflegt, vermittelt das nicht unbedingt die Werte, die im Hip Hop (auch) einmal vorhanden waren. Es geht mir hier gar nicht um irgendwelche bürgerlichen Werte, sondern einfach um den Respekt, der einmal so wichtig war und einer unangenehmen Battle-, Ego-, Diss-, Abwehr- und Intoleranzhaltung gewichen ist. Kannst ja dazu auch mal dazu meinen Beitrag Null Respekt lesen…

Hip Hop ist aus dem Gleichgewicht geraten. Conscious-Rap in Deutschland ist so gut wie tot, Funrap ebenso, die Kultur hat ihre Säulen verloren (breakdance, rap, graffiti und djing), von ihrer Geschichte ganz zu schweigen. Dass deswegen eine ganze Generation degeneriert – um Gottes Willen! Ich fände es einfach wünschenswert, wenn auch einmal wieder ein paar Conscious-Rapper ihren Weg in die Ohren der heads finden (oder überhaupt mal zum Mikro greifen) würden.

Anonym hat gesagt…

Im Grunde genommen lässt es sich - wie so oft - auf die Geschmacksfrage herunterbrechen, und über Geschmack braucht man nicht zu diskutieren.
Wie schon gesagt: der eine mag tiefgreifende Liebeskomödien, der andere storybefreite Actionkracher und wieder jemand anders hat bei "Dawn of the Dead", "Braindead" oder "Ein Zombie hing am Glockenseil seinen Mordsspaß (haha).
Aber ich denke das siehst Du genauso. Worauf es bei dir hinausläuft ist, wenn ich richtig verstanden habe, der Hiphop resp. dessen Kultur bzw. dass der Hiphop seine ursprüngliche Bedeutung zu verlieren scheint.
Wie du schon richtig sagst steht der Hiphop in Deutschland ohne Tradition da. Das war allerdings schon immer so: der "organisch gewachsene" Hiphop aus den USA ist ein Importprodukt. Hier ist nix gewachsen, hier wurde Bestehendes genommen und ein wenig umgeformt. Das Resultat davon ist dieser Hiphop-Dogmatismus mit seinem 4-Elemente-Quark und dem ewigen Geschrei nach Inhalt und Tiefe und Bloß-nicht-Amerika-kopieren. Das Ganze gipfelte für mich, als ich einen Leserbrief ind er Juice las, in dem ein Typ sich quasi dafür entschuldigte, dass ihm einige neuere Hiphop-Tracks nicht gefielen, aber immer wieder beteuerte, er sei wirklich voll in diesem Hiphop-Ding drin.
Dieses ganze dogmatische Getue hat aus dem Hiphop hierzulande die Karikatur gemacht, die er ist. In Amiland machten Run DMC Mucke mit Aerosmith, Ice Cube mit Korn, Public Eenmy mit Anthrax, hierzulande sind Hiphopper und Metaller quasi "verfeindet". Das Subkulturgehabe ist einfach nur dämlich.
Porno- und Horrorrap wird dagegen auch von Leuten gehört, die mit Hiphop an sich nix zu tun haben (JEDER Metaller wird "Pimp Leginär" oder "Titten raus" von orgasmus kennen, eine Menge Hirntot-Fans rechnen sich den Gothics zu). Ist so etwas nicht viel bereichernder als dieser hermetisch abgeschlossene Hiphop-Zirkel der Trueheads..?
Dass deutscher Gangsta-Rap "provinziell" klinge kann ich übrigens nicht nachempfinden. Bei Rappern wie Mok, Abusex, Bass Sultan Hengzt oder Skinny Al hört man die Straße schon stark raus. Und ist ein beschränkter Wortschatz von jemandem, der aus Berlin-Wedding kommt, sein Leben lang nur scheiße gebaut hat und jetzt rappt, nicht ziemlich "real"?
Aber überhaupt, "Realness". Das ist auch so ein Wort. Ice Cube hat Architektur studiert, Dr. Dre hat quasi schon als Kleinkind Musik produziert. Real? Kaum. Aber was soll's, solange sie gute Musik machen ist es mir egal.
Aber wie auch immer. Ich denke wir haben unsere Ansichten einander klargemacht und ich kann mit deiner leben wie du mit meiner. Deinen Wunsch nach einem Consciuous-Raper, der den Weg in die Ohren finden wird -- die Chance halte ich für gering. Aber es ist ja auch okay: Kultur verändert sich. Als der Sturm & Drang die Vernunftfanatiker ablöste gab s auch ein Riesengeschrei von wegen "Untergang der Literatur". Und heute stehen sie beide in den Geschichtsbüchern :)
Gruß!

Mathias Ellwanger hat gesagt…

Ich denke auch, dass wir unsere Positionen recht deutlich abgesteckt haben. Noch ein Hinweis zum Schluss: in der taz hat unlängst eine kleine Debatte zu genau dem Thema stattgefunden, die zwar nichts fundamental neues hervorgebracht hat, aber doch recht lesenswert war:


1) Monika Griefahn: Rapper haften für ihre Texte
[http://www.taz.de/index.php?id=481&art=2061&no_cache=1&type=98]

2) Thomas Winkler: Jungsfantasien
[http://www.taz.de/index.php?id=kommentar-artikel&art=2188&no_cache=1&type=98]

3) Heise Oestreich: Mütterschocker unter sich
[http://www.taz.de/index.php?id=kommentar-artikel&art=2411&no_cache=1&type=98]

4) Jenni Zylka: Spaß am Unterwerfungsspiel
[http://www.taz.de/digitaz/2007/07/31/a0142.1/textdruck]

5) Murat Güngör: Ganz verliebt ins Ghetto-Klischee
[http://www.taz.de/index.php?id=digitaz-artikel&ressort=me&art=2637&no_cache=1&type=98]

6) Tobias Rapp: Mitlabern als Waffe
[http://www.taz.de/index.php?id=digitaz-artikel&ressort=me&art=2895&no_cache=1&type=98]

Glück & Freiheit,
Zeittotschläger.