Donnerstag, 28. Juni 2007

Die neue alte, alte neue LINKE.

2005 trat die PDS als Linkspartei wieder eindrucksvoll auf die politische Bundesbühne. Dank umstrittener Sozialreformen der damaligen rot-grünen Regierung, mit Hilfe eines ehemaligen SPD-Vorsitzenden aus dem Saarland und in Kooperation mit der WASG erlebte sie einen zweiten Frühling und durfte nach drei Jahren Abstinenz wieder in Fraktionsstärke in den Bundestag einziehen.

Gleichzeitig geschah etwas für linke Parteien erstaunliches, denn recht bald schon war die Rede von Vereinigung anstatt der ansonsten üblichen Spaltung und Selbstzerfleischung. Der Parteitag gab unlängst grünes Licht: Deutschland ist in der europäischen Normalität angelangt und besitzt nun auch eine gesamtdeutsche Partei links von der Sozialdemokratie.

Zwei äußerst eigenwillige Gewächse des politischen Systems unserer Republik sind es, die sich am 16. Juni unter dem selbstbewussten Namen „DIE LINKE.“ zusammenschlossen. Auf der einen Seite die Linkspartei, als SED ehemalige Staatspartei, im Osten beinahe so etwas wie eine Volkspartei, im Westen jedoch kaum mehr als eine Splitterpartei und politischer Krämerladen linker Ideen. Auf der anderen Seite die Kleinstpartei WASG, zur Hochkonjunktur der Proteste gegen die rot-grünen Sozialreformen entstanden, vornehmlich im Westen der Republik aktiv und zu einem Großteil aus ehemaligen langjährigen SPD- und Gewerkschaftsmitgliedern bestehend. Der zunehmenden Identitätslosigkeit der SPD ist es schließlich auch geschuldet, dass Platz entstand für eine vermeintliche linke Alternative.

Ist die Linkspartei sozialistisch…

Während die WASG in Sachen Extremismus aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte mehr oder weniger unverdächtig war, wurde die ehemalige PDS auch siebzehn Jahre nach der Wiedervereinigung immer noch als linksextrem eingestuft, vornehmlich um sie und ihre Mitglieder aus dem bundesrepublikanischen demokratischen Konsens ausschließen und diffamieren zu können. Dass der extreme Flügel innerhalb der Linkspartei (speziell die Kommunistische Plattform und das Marxistisches Forum) schon lange marginalisiert war, wird von ihren Gegnern dabei geflissentlich übersehen. Auch ein Blick in das Parteiprogramm ließ nur wenig revolutionären Charakter erahnen – stattdessen jede Menge Ziele, die vor gar nicht allzu langer Zeit auch im Programm der Sozialdemokraten Platz gefunden hätten. Interessanterweise gab sich die SPD selbst in ihrem Bad Godesberger Programm von 1959 – gemeinhin als Markstein hin zu einer regierungsfähigen, demokratischen Volkspartei betrachtet – wesentlich marxistischer und extremer als die geschmähte Linkspartei. Und spätestens die Regierungsbeteiligungen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin dürften gezeigt haben, wes Geistes Kind die plötzlich handzahm, ja gar „neoliberal“ agierenden Postsozialisten in der Praxis doch sind.

…populistisch…

Unter tosendem Applaus verkündete Lafontaine auf dem Parteitag die Verwirklichung von „Freiheit durch Sozialismus“. Diesen Begriff mit Inhalt zu füllen gelang ihm jedoch leider nur unzureichend, und so blieb der Sozialismus kaum mehr als ein rhetorisches Moment, eine Phrase, um die Seele der Delegierten zu streicheln, so wie der Sozialismus seit geraumer Zeit in der Partei kaum mehr als ein Feigenblatt darstellt. Dieses Spielen mit den jeweils opportunen Begriffen ist es, das die „LINKE.“ von heute unterscheidet von jener zu Zeiten von Brie, Zimmer, Gysi und Bisky. Generell praktiziert die Partei zunehmend einen unangenehm undifferenzierten Politikstil, der mit der auf dem Parteitag eingeforderten Glaubwürdigkeit nur schwer zu vereinbaren ist.

Jener neue Populismus wird von niemandem besser verkörpert als dem ehemaligen SPD-Vorsitzenden, der sich vor Pauschalisierungen, Redundanzen und Polemiken wahrlich nicht scheut. Ein stellvertretendes Beispiel aus der jüngeren Zeit: in einer Bundestagsrede bezeichnete er den Bundeswehreinsatz in Afghanistan als terroristischen Akt. Zwar nimmt hinter den Kulissen die Kritik an dem Egozentriker und seinem autokratischen Gebaren seit geraumer Zeit zu, doch die Parteiführung ist sich völlig bewusst, wie sehr man ihn gerade im Westen als Zugpferd benötigt, um die Etablierung einer gesamtdeutschen Linkspartei weiter voranzutreiben.

…oder gar konservativ?

„DIE LINKE.“ ist jedoch letztlich in vielen Belangen auch eine (im eigentlichen Sinne von bewahrend) konservative Partei, nimmt sie doch inzwischen mit Vorliebe die Rolle des Bewahrers altbundesrepublikanischer Errungenschaften (wie Wohlfahrtsstaat, Vollbeschäftigung, mehr oder weniger pazifistischer Außenpolitik oder sozialer Marktwirtschaft) ein. Viel mehr als eine Restauration der Verhältnisse ist von ihr nicht zu erwarten, weshalb auch ein Großteil der Vorschläge reichlich unzeitgemäß wirkt. Einer der Gründe auch, weshalb innerhalb der reichlich kriselnden Gewerkschaften eine zaghafte Öffnung gegenüber den Postsozialisten stattfindet. Verbände sich mit der Linken heutzutage noch die Idee von Fortschritt, wäre man fast dazu geneigt, den Namen der Partei als Etikettenschwindel aufzufassen.

Doch die Linke an sich ist (wie alle großen politischen Entwürfe) seit geraumer Zeit in einer gewaltigen Sinnkrise, und „DIE LINKE.“ als einer ihrer anachronistischsten Auswüchse versucht in jenes Vakuum zu stoßen, welches die SPD seit ihrer weitestgehenden Abkehr von sozialdemokratischen Werten hinterlassen hat. Viele Forderungen erhalten bei weiten Teilen der Bevölkerung Zustimmung, und in Umfragen wird ihr inzwischen in Fragen der sozialen Gerechtigkeit eine weitaus höhere Kompetenz zugewiesen als der SPD. Da sie sich in der Oppositionsrolle um Details oder Fragen der Umsetzbarkeit kaum Gedanken machen muss und vieles mehr nach einem Wunschkatalog denn einem Programm klingt, obgleich auf große Utopien verzichtet wird, dürfte sich dies auf absehbare Zeit auch kaum ändern.

Von wem wird sie gewählt?

Unterschichten wie Bildungseliten sind in der Anhängerschaft der Partei, von der eine Mehrheit über eindeutig linke oder libertäre Einstellungen verfügt, überrepräsentiert. Ein detaillierterer Blick fördert jedoch Bemerkenswertes zu Tage: Nach einer vergangenen Winter erschienenen Rechtsextremismusstudie der Friedrich-Ebert-Stiftung besitzen 28,6 % ihrer Anhänger ausländerfeindliche Einstellungen – der höchste Wert unter allen Anhängern demokratischer Parteien! Die größten Wählerzuwächse konnte sie in den letzten Jahren zudem bei Nichtwählern, Arbeitslosen und gering verdienenden Arbeitern erzielen, jenen Gruppen also, die laut besagter Studie stark überdurchschnittliche ausländerfeindliche Einstellungen besitzen.

Dass eine Partei zuweilen anders denkt als Teile, Wähler und Anhänger ist beileibe kein Alleinstellungsmerkmal der Linken. So fördert dieselbe Studie ebenfalls zu Tage, dass nur eine Minderheit derjenigen, die über ein rechtsextremes Weltbild verfügen auch rechtsextreme Parteien wählt. Aber dass gerade zwischen Linkspartei und NPD die höchsten Wählerwanderungen stattfinden, deutet neben der Tatsache, dass beide (auch) als Protestwahlpartei fungieren, auf einen weiteren erstaunlichen Punkt hin: Die NPD, welche sich seit Jahren mit einem sozialistischen Image schmückt und vor allem mit sozialen Themen Wähler gewinnt, gilt den Parteistrategen (neben der SPD) als wichtigster Konkurrent um gewichtige Wählerstimmen. Dies mag begreiflich machen, weshalb auch Herr Lafontaine gerne in trüben rechten Gewässern fischt, was nicht zuletzt seine umstrittene „Fremdarbeiter“-Rede deutlich offenbarte. Gerade in Bezug auf Außen- und Wirtschaftspolitik ist dies auch durchaus mit den Zielen der Partei vereinbar, die dort eine erstaunlich nationalistische und protektionistische Note tragen.

Was bedeutet das für unser Parteiensystem?

Dass die SPD sich in absehbarer Zeit doch noch von der Möglichkeit einer Koalition mit den Postsozialisten im Bund überzeugen lassen wird, ist unwahrscheinlich. Das mag zum einen an ganz banalen zwischenmenschlichen Problemen liegen (Lafontaine wird bei den Sozialdemokraten verständlicherweise als Abtrünniger geächtet). Zum anderen aber scheint sich die Linke aber auch in der Rolle der zwar nahezu einflusslosen, aber dankbaren Opposition besser zu gefallen denn als undankbares Zünglein an der Waage. Man denke nur an die Auswirkungen der Regierungsbeteiligung in der Hauptstadt, die nach einer Legislaturperiode neben der Halbierung der Wählerschaft zu einer fundamentalen inneren Spaltung führte.

Sollte sich die Partei etablieren, so wird sie unter den demokratischen Parteien vornehmlich der ewig kränkelnden SPD Wähler abspenstig machen. Dies wird entweder zu einer (möglicherweise) dauerhaften Blockade des politischen Systems führen, da weder links noch rechts Mehrheiten zu machen sind. Oder die mit dem Kanzlerinnenbonus gesegneten Christdemokraten und die seit einigen Jahren vor Kraft nur so strotzende FDP werden zusammen doch eine knappe Mehrheit zustande bringen und damit die SPD, die von der Großen Koalition kaum profitiert und der es an attraktiven Führungskräften mangelt aus der Regierungsverantwortung drängen.

Die viel beschworene strukturelle Mehrheit der Linken – etwas mehr als 53% der Sitze im Bundestag verteilen sich momentan auf SPD, Grüne und „DIE LINKE.“ – könnte sich so zugleich zu ihrem Dilemma entwickeln. Ob sie in absehbarer Zeit doch noch zu einer politisch machbaren Mehrheit wird, hängt vornehmlich davon ab, ob und wenn ja wie sich die SPD aus ihrer Dauerkrise befreit und wieder verstärkt modernes sozialdemokratisches, aber dennoch linkes Profil zurückgewinnt. Ansonsten droht eine dauerhafte Etablierung links von der SPD, die neben einer beständigen Lähmung des linken politischen Lagers – leider – recht wenig zur Folge haben wird.

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