"So kam ich unter die Deutschen"
In diesem Lande leben wir
wie Fremdlinge im eigenen Haus
Die eigne Sprache, wie sie uns
entgegenschlägt, verstehn wir nicht
noch verstehen, was wir sagen
die unsre Sprache sprechen
In diesem Lande leben wir wie Fremdlinge
In diesem Lande leben wir
wie Fremdlinge im eigenen Haus
Durch die zugenagelten Fenster dringt nichts
nichts wie gut das ist, wenn draußen regnet
noch des Windes übertriebene Nachricht
vom Sturm
In diesem Lande leben wir
wie Fremdlinge im eigenen Haus
Ausgebrannt sind die Öfen der Revolution
früherer Feuer Asche liegt uns auf den Lippen
kälter, immer kältre Kälten sinken in uns
Über uns ist hereingebrochen
solcher Friede!
solcher Friede
Solcher Friede.
(Wolf Biermann)
2 Kommentare:
Sören Ulrik Thomsen: LISSABON
Bin ich gereist, um dem Menschen zu begegnen - oder einem Gott?
Um Gott zu begegnen und einem Menschen.
Aber darüber kann ich nicht mit dir diskutieren,
eleganter alter Herr im Café,
wo ich gegen Abend meinen Milchtee trinke.
Denn ich komme aus einem Land,
wo man dem steifen Sturm des Winters lauscht
und dem Orkan hinter der Schläfe.
Und ich spreche eine Sprache,
in der Gott Mensch bedeutet und Mensch Gott.
Und in dieser Sprache ist das Gedicht geschrieben:
Mit ihr muß es stehen und fallen
Und noch eins:
Die Deplacierten
Uns haben sie, glaub ich, falsch geboren.
Von wegen Ort und wegen Zeit
sind wir vertattert und verloren
und fluchen unsrer Einsamkeit.
Warum, Mama, grad an der Panke?
Warum nicht fünfzig Jahr zurück?
Wie schlecht placiert wuchs der Gedanke
zu euerm jungen Liebesglück!
Warum nicht lieber auf den Sunda–
Eiländchen 1810?
Doch hier und heut? Das ist kein Wunder –
das kann ja nicht in Ordnung gehn!
Warum nicht in Australien hausend?
Warum nicht Fürst von Erzerum?
Warum nicht erst im Jahr Zweitausend?
Weshalb? Wieso? Woher? Warum?
Der Weltkrieg. Lebensgroße Zeiten.
Der Bankkommis als Offizier.
Brotkarten. Morde. Grenzen. Pleiten.
Und alles ausgerechnet wir.
Schraub hoch dein Karma wie die Inder.
Bleibt auch für uns nur noch Verzicht:
Wenn meine und sie kriegt mal Kinder –
in Deutschland darf sie nicht.
(Tucholsky, 1924)
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