Samstag, 4. August 2012

Ein feines Gespür für Dynamiken


Die Schorndorfer Manufaktur entwickelt sich zu einem Mekka für Sonic-Youth-Fans. Nach Lee Ranaldo im Juli gab sich nun am Donnerstag Thurston Moore die Ehre und sorgte für einen Abend voller Überraschungen.

Überraschend gleich der Beginn: Auf der Bühne stehen zwölf Musiker. Etwas gelangweilt und in seltsamen Gewändern bieten sie eine Unmenge an Instrumenten auf: von einer Sitar über einen Riesengong bis zu diversen elektronischen Instrumenten.

Ein Free-Jazz-Mahlstrom ergießt sich über die Manufaktur. Das Stuttgarter Kollektiv kommt ohne feste Bandstrukturen und widmet sich der Zersetzung jeglicher Struktur. Politisch wie musikalisch sollen damit Grenzen gesprengt werden. Das ist nicht für alle Ohren leicht goutierbar, weshalb sich ein großer Teil des Publikums die Zeit im Hof vertreibt. Der strukturlose Free Jazz erinnert ein wenig an Alice Coltrane und die wundersame Klangwelt von Sun Ra. Pausen gibt es keine, alles zerfließt. Und irgendwann löst sich die Musik einfach im Nichts auf.

Auftritt Thurston Moore – entspannt und cool, mit der abgehangenen Aura eines alternden Rockstars. Erst einmal gibt’s Lob für Metabolismus, die in den USA ungleich erfolgreicher sind als in ihrer Heimat. Eine Ehre sei es für ihn, auf derselben Bühne stehen zu dürfen. Der Respekt klingt ehrlich, nicht nach Höflichkeitslob. Ebenso die Manu, die er ohne ironische Distanz als „harten Free-Jazz-Schuppen“ bezeichnet.

Moore beginnt sein Set akustisch mit einem Song aus seinem neuen Album „Demolished Thoughts“, das sehr folkig ausgefallen ist. Einen Bass gibt es nicht, dafür zwei Konzertgitarren, eine Geige und Drums. Die Band spielt solide, routiniert, aber nicht mitreißend. Nach der abgedrehten Vorband wirkt Moores Songwritermaterial nicht gerade aufregend. „Demolished Thoughts“ ist ein typisches Solo-Alterswerk: naturgemäß nicht gerade die spannendste Sorte von Alben. Doch schon beim zweiten Song durchbricht der Sonic-Youth-Sänger das enge Korsett seines neusten Albums und setzt zu einer Noise-Attacke mit seiner Akustikgitarre an.

Und es kommt noch besser: Das New Yorker Noise-Urgestein besinnt sich auf seine Stärken und greift zur E-Gitarre. Im Mittelteil des Sets wird es dann laut. Eine gute Entscheidung. Der gepflegte Lärm entfaltet eine überzeugende Laut-Leise-Dynamik und bleibt – anders als vor einem Monat bei Bandkollege Lee Ranaldo – kein öder Selbstzweck.

Doch die größte Überraschung des Abends: Angekündigt war zwar Thurston Moore – ohne Vorband wohlgemerkt. Präsentiert hat sich dann aber Chelsea Light Moving. So heißt die neue Band von Moore mit Keith Wood an der Gitarre, Samara Lubelski an Geige und Bass sowie John Moloney an den Drums. Ein Album gibt es zwar noch nicht, aber im Netz kursieren bereits eine Reihe von Songs. Und die überzeugen! Den Namen seiner Band erwähnt er an dem Abend übrigens kein einziges Mal.

Ein Weißweinglas als Plektron

Der sichtlich gut gelaunte Thurston Moore legt einen souveränen Auftritt hin. Er reagiert cool, als ein Gast in der ersten Reihe anfängt, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Während das Publikum seinen Unmut darüber äußert, meint er nur lapidar: „No problem. I like that.“ Und während ihm eine Flasche Riesling auf die Bühne gebracht wird, bietet er sie scherzeshalber auch dem Publikum an. Sein Weißweinglas nutzt er dann auch mal praktischerweise als Plektron. Gegen Ende wird es noch mal akustisch. Nach dem noisigen Mittelteil ist das nicht nur eine Verschnaufpause fürs Trommelfell. Die Songs aus „Demolished Thoughts“ vermögen nun auch beinahe zu überzeugen.

Noch eine kurze Anmerkung zur ungewissen Zukunft von Sonic Youth: Moore hatte sich unlängst nach 27-jähriger Ehe von seiner Bandkollegin Kim Gordon getrennt. Seitdem rätselt die Musikwelt, wie es mit Sonic Youth weitergeht.

Doch das Ende der Beziehung bedeutet nicht zwangsläufig das Ende musikalischer Zusammenarbeit: Die beiden werden im September ein gemeinsames Mini-Album mit Yoko Ono veröffentlichen. Der geneigte Hörer darf also weiter auf eine Fortsetzung hoffen.

Keine Kommentare: