Samstag, 11. August 2012

Irrlichternde Groove-Geister


2011 hätte das Jahr der Tune-Yards werden müssen. Denn Whokill, das zweite Album der Band, begeisterte die Fachpresse. Doch die Kritikerlieblinge wurden keine Publikumslieblinge. Tune-Yards sind auch im August 2012 bei ihrem Auftritt in Schorndorf noch ein Geheimtipp.

Woran das liegen könnte, zeigt schon der wundersame Beginn des Konzerts. Sängerin Merill Garbus betritt alleine die Bühne. Sie beginnt damit, ihr Mikrofon mit Soundschnipseln zu befüttern. Ab und an schrammelt sie dazu auf ihrer E-Ukulele. Vor ihr steht der Rumpf eines Schlagzeugs, das sie dezent, aber effektiv einsetzt. Doch die Grundstruktur entwirft sie mit ihrem Gesang, der, mit einem Effektgerät wiederholt, einen Beat ergibt. Die ersten zehn Minuten nutzt sie fast ausschließlich ihre beeindruckende Stimme, in der ein schwarzafrikanischer Geist mitschwingt und das wohl markanteste Merkmal des Soundentwurfs der Tune-Yards darstellt.

Merill Garbus, die 2009 einst das erste Album „Bird-Brains“ im Alleingang mit LoFi-Methoden einspielte und als Pay-as-you-want-Download ins Netz stellte, polarisiert mit ihrem Organ, das über eine enorme Bühnenpräsenz verfügt. Als Sängerin, so wird Garbus zitiert, sei es dabei ihr Ziel, „nicht hübsch“ zu klingen, womit sie sich implizit den gängigen Rollenerwartungen an weibliche Musikerinnen verweigert. Ihre Stimme benutzt sie vielmehr wie ein eigenes Instrument, springt ständig über Oktaven auf- und abwärts und begleitet sich selbst auf zwei bis drei Spuren. Als Tochter zweier Folk-Musiker verbrachte sie ein Jahr in Kenia. Und das scheint Spuren hinterlassen zu haben, auch inhaltlich. Der Arbeitstitel ihres Debüts hieß „White Guilt“ und auch Whokill beschäftigt sich mit Themen wie Nationalismus, Feminismus und den Aufständen und Unruhen, die unsere Zeit so prägen.

All das tritt an diesem Abend aber in den Hintergrund. Und als nach zwei langen Solostücken, in denen der LoFi-Geist der frühen Tune-Yards noch spürbar ist, die restlichen Bandmitglieder auf die Bühne kommen, wird jeglicher Subtext ohnehin irrelevant. Ihre Begleitmusiker – Nate Brenner am Bass sowie Matt Nelson und Noah Bernstein am Saxofon – entfachen vielmehr ein mitreißendes Groove-Feuer.

Doch auch mit Begleitmusikern bleibt das Grundprinzip gleich: Schicht um Schicht schält sich der Tune-Yards-Sound heraus. Der fehlende Schlagzeuger wird durch den klugen und rhythmussicheren Einsatz des Effektgeräts gut kompensiert. Was folgt, ist eine recht frei arrangierte Mischung aus Afrobeat, Indie, einer guten Portion Jazz und Elektro à la M.I.A. mit den Stücken von Whokill als solider Basis. Aus dem ursprünglich fünfminütigen „Bizness“ wird da schon mal ein fast 20-minütiger ausufernder Jam, immer zusammengehalten von ihrer markanten, leicht exaltierten Stimme, die gängigen Hörgewohnheiten und -erwartungen widerspricht.

Rhythmus und Gesang werden zu den bestimmenden Elementen des – am Ende doch recht kurzen – Abends. Da wird schon mal das Publikum als Rhythmusmaschine benutzt, greifen die Saxofonisten zu Altmetall und hämmern zuckend, aber kontrolliert auf etwas, das aussieht wie ein demolierter Topfdeckel oder eine riesige geöffnete Sardinendose. Und auch der Bassist darf sein Instrument für einen Moment ablegen und Töne mit unterschiedlich gefüllten Gläsern erzeugen. Die US-amerikanischen Tune-Yards sind keine affektierte Kunststudenten-Band. Sie sind Punks im Geiste. Denn ihr Soundentwurf ist (gerade live) radikal, originell – doch für den großen Erfolg letztlich zu kompromisslos.

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