Mittwoch, 31. Januar 2018
Knausgards Kampf
760 schonungslos offene Seiten über das oft komplizierte, bisweilen auch tragische Familienleben eines weißen, männlichen Schriftstellers - ist das nun große Literatur oder banale Selbstbespiegelung? Nach der Lektüre von "Lieben", dem zweiten Band des autobiographischen Projekts von Karl-Ove Knausgard fällt die Antwort darauf gar nicht so leicht.
Denn dieser Roman enthält beides: Höchst banale Alltagsbeschreibungen (Brote schmieren, Kaffee trinken, Windeln wechseln, Zeitung lesen, auf dem Balkon rauchen), aber auch kluge, essayistische Gedanken über das Leben, die Literatur und den schier unmöglichen Versuch, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen und dabei sich auch noch literarisch selbst zu verwirklichen.
Der norwegische Schriftsteller Karl-Ove Knausgard (Jahrgang 1968) ist in diesem Band frisch nach Schweden ausgewandert, hat sich dort in seine zweite Frau verliebt und steckt in einem Dilemma: Er hadert mit seinem bisherigen Schaffen und weiß nicht so recht, worüber er schreiben soll. Das einzige, was für ihn feststeht: Dass er unbedingt schreiben will, denn nur beim Schreiben ist er wirklich glücklich. Und so kämpft er sich schreibend frei, indem er seinen Alltag literarisiert. Und dabei keine Rücksicht auf Familie und Freunde (die er mit Klarnamen benennt) nimmt, am allerwenigsten aber auf sich selbst.
Permanente Selbstzweifel
Wirklich kein Detail ist ihm zu peinlich, um es wegzulassen. Der Leser erfährt alles: dass seine Frau eine bipolare Störung hat, seine Schwiegermutter heimlich Schnaps trinkt, während sie auf seine Kinder aufpasst. Er selbst sich gerne bis zur Besinnungslosigkeit betrinkt, nur um zu vergessen. Wir lesen, wie schwer ihm der Alltag mit vier Kindern fällt, er sich dabei permanent nach seiner einsamen Hütte sehnt, wo er schreiben kann - und dabei doch beständig an sich und seinen Fähigkeiten als Schriftsteller zweifelt.
Wir können dabei zusehen, wie aus stürmischer Liebe kalter, trister, von Streit geprägter Alltag wird. Und erfahren, welche Bücher Knausgard liest, welche Autoren ihn geprägt haben. Wir können manch klugem Gespräch mit Freunden folgen und zugleich banalsten Small Talk lesen. Lernen dabei, wie groß die Unterschiede zwischen Norwegen und Schweden doch sind - weshalb der Autor in seiner neuen Heimat im Alltag meist lieber die Klappe hält.
Das liest sich, so deprimierend und voller Längen die Lektüre auch ist, erstaunlich leicht. An vielen Stellen kann sich der Leser in diesem nicht allzu außergewöhnlichen Leben eines weißen Europäers auch durchaus wiederfinden (sofern er selbst einer von ihnen ist).
Der passende Originaltitel: Min Kamp
Doch bleibt die Frage: Ist das nun große Literatur? Zumal "Lieben" ja nur ein Teil des sechsbändigen Zyklus ist, der es insgesamt auf mehr als 3000 Seiten bringt und im Original den Titel "Min Kamp" trägt. Knausgard also explizit Bezug nimmt auf Hitlers grauenhaft wehleidig geschriebene, doch wirkungsmächtige Autobiographie (worauf er im letzten Band "Kämpfen" näher eingeht). Der mit einer ausführlichen Beschreibung des eigenen Vaters beginnt. Einem Menschen, der Karl-Oves Existenz permanent in Frage stellt, schließlich dem Alkohol verfällt und daran jämmerlich zu Grunde geht.
Keine Frage, der Titel ist klug gewählt. Denn es handelt sich bei dem Roman-Projekt tatsächlich um einen Kampf: Knausgards Kampf mit sich selbst, seiner Geschichte, seinem Leben, dabei die Blumfeld'sche Frage stellend: "War das etwas schon alles?" Ein Kampf, der nach tausenden von Seiten mitnichten zu Ende ist. Auch die folgenden Bücher des Norwegers sind autobiographisch.
Mehr Verdichtung, bitte!
Banal ist das keineswegs. Vieles aus dem zweiten Band "Lieben" klingt nach, bleibt haften. Etwa der verzweifelte Moment, als er sich bei einem Schriftstellertreffen betrunken nachts das Gesicht mit dem Messer zerschneidet und die Scham am nächsten Morgen schier unerträglich wird.
Um große Literatur handelt es sich dabei aber auch nicht. Dazu fehlt es dem opulenten Werk an literarischer Stringenz. Ein sorgsamer Lektor hätte sicher etliche Passagen kürzen können, ohne dass es dem Buch geschadet hätte. So schweigsam und schüchtern Knausgard in der Realität auch sein mag: Das größte Problem dieses durchaus lesenswerten Romans ist seine Geschwätzigkeit.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
1 Kommentar:
Eine gute REZI. Ich kenne bislang nur "Träumen", teile aber die Schlagrichtung dieser Kritik.
Kommentar veröffentlichen