Mittwoch, 4. April 2007

Ich hab 23 Jahre mit mir verbracht


Ich hab 23 Jahre mit mir verbracht - und weiß nicht, wie ich es aushalten konnte. Was Tocotronic vor gut zwölf Jahren - im wahrsten Sinne des Wortes - hingeschrammelt haben ist nach wie vor ein Manifest für alle, die nicht verstehen können, wie die Jahre vergehen und das Leben dennoch weiter geht, wie wir weiter machen können, anstatt uns das Leben zu nehmen, wie wir weiter machen können in dieser Gesellschaft, "in der man bunte Uhren trägt - in einer Gesellschaft wie dieser bin ich nur im Weg".

In einer Gesellschaft, die ewige Jugend zu einem der wichtigsten Ziele auserkoren hat, ist es in der Tat schwer, erwachsen zu werden. Wir sind ein Land der ewig Jugendlichen, wir drücken uns vor der Verantwortung, die das Alter mit sich bringt und wollen stattdessen stets verweilen in der ewigen Rebellion, die zu vollziehen wir doch zu faul sind. "In dem Bett aus dem ich herkam / liegt es sich immer noch unbequem und einsam / ich habe nichts gegen Menschen als solche / meine besten Freunde sind welche / aber leider lebenslänglich mein Platz / an der Seite derer, die randvoll Beischlaf morden / als Lügner gefiel ich dir besser / gefiel ich dir besser?" formulierte schon 1992 Jochen Distelmeyer und traf damit den Nerv der Zeit, die auf Musik, welche die später titulierte Hamburger Schule fabrizieren sollte, nur zu warten schien. Tocotronic verkörperten damals die typischen Jugendkonflikte zwischen Ich und den Anderen, die Blumfeld auf einer höheren, mehr gesellschaftlichen Ebene schon formuliert hatten.

Während Tocotronic sich in ihrer Frühphase mit dem Sujet der Abgrenzung und Ich-Findung, dem Wunder des Lebens in modernen Zeiten und seinen Falltüren beschäftigten, waren Blumfeld mit ihrem ersten Album schon mindestens einen Schritt weiter, der unbedarfte, punkige und auf einzige Art und Weise naiv selbstreflektive Charme der ersten vier Tocotronic-Alben (der spätestens seit KOOK einer neoromantisch weltentrückten Poetik gewichen ist) jedoch bleibt unerreicht. Mit Digital ist besser konnten sich (aufgrund der gewollt diffus-dilletantischen Texte) viele identifizieren. Es heute zu hören erscheint mir wie eine Reise in die Vergangenheit, eine Zeit, in der Lehrer, das Schulsystem und das "System an sich" die größten Feinde waren, eine Welt, die noch Eindeutigkeiten kannte, eine Welt, die noch Orientierung versprach, schwarz und weiß kannte. Die Welt ist Ambivalenz in Reinform, das ist mir inzwischen klar. Dennoch: "Zahme Vögel singen von der Freiheit, wilde Vögel fliegen davon" (SAS)

Ich habe 23 Jahre mit mir verbracht


Ich hab 23 Jahre mit mir verbracht
Und in 23 Jahren hab ich mich nie mit mir verkracht
Manchmal frag ich mich wie hab ich das gemacht
Ich hab 23 Jahre mit mir verbracht

Ich bin zu jung um meine Biographie zu schreiben
Und zu alt um ewig jung zu bleiben
Ich hab 23 Jahre mit mir verbracht

Ich hab 23 Jahre mit mir verbracht
Und in 23 Jahren hab ich nie über mich gelacht
Manchmal frag ich mich wie hab ich das gemacht
Ich hab 23 Jahre mit mir verbracht (3x)

Ohhhoo...

Ich hab 23 verdammte Jahre mit mir verbracht

Ohhhoo...