Im vorwärts, der alteingesessenen SPD-Parteizeitschrift, die es seit einiger Zeit wieder am Kiosk zu kaufen gibt, und die zwar etwas zahm, aber alles in allem doch besser als von mir erwartet daherkommt, las ich heute einen Artikel von Sascha Verlan. Er zeichnet nicht nur verantwortlich für das legendäre blaue Reclambüchlein "Rap-Texte", sondern ist auch zusammen mit dem berüchtigten Hannes Loh Autor des kritischen Wälzers „25 Jahre Hip Hop in Deutschland“ und in letzter Zeit schwer damit beschäftigt, an eben jenem (leicht marxistisch angehauchte) Fundamentalkritik zu üben. Und dass ich dem grundsätzlich positiv gegenüber stehe dürfte dem aufmerksamen Leser sicher geläufig sein. Deshalb möchte ich euch hier einfach ein paar lesenswerte, wenn auch in ihrer Substanz nicht gerade revolutionäre, Ausschnitte aus dem Artikel zitieren:
Zunächst beschäftigt er sich mit den Ursprüngen der Hip Hop-Kultur in der New Yorker Bronx: „Am Anfang von Hip Hop stand die Gewalt, nämlich die Zerstörung eines intakten Wohnviertels: Ende der 60er Jahre treibt die New Yorker Stadtverwaltung eine vielspurige Autobahn durch die Bronx. (…) Wer die finanziellen Möglichkeiten hatte, der verließ die Bronx auf dem schnellsten Weg.“ Der Grundstein für die Ghettoisierung der Bronx – und damit die Entstehung von Hip Hop - war gelegt. „Hip Hop nimmt in vielerlei Hinsicht Bezug auf die Gewalt, die in den Ghettobezirken herrscht. Zu allererst natürlich in den Rap-Texten, aber auch ganz konkret: (…) Anstatt mit Fäusten aufeinander loszugehen, traf man sich zum Battle und löste seine Konflikte auf dem kreativen Schlachtfeld. (…) Durch Rap haben die Jugendlichen in den Armenvierteln die Definitionsmacht über ihr Leben und ihre Situation wiedererlangt. (…) So dass das Ghetto verherrlicht wird zu einem Ort, dem einzigen Ort, an dem man wirklich frei sein kein.“
Nicht so in Deutschland, denn „bis heute ist der Bezugspunkt hierzulande nicht das Ghetto oder die Straße, sondern die Hip Hop-Szene in den USA, kein existierender Ort also, sondern ein imaginärer. Der Bezugspunkt ist nicht sozial, sondern ästhetisch, ein medial verbreitetes und verzerrtes Abbild von Hip Hop.“ Auch wenn dies nicht immer so war, so wird es doch bei all den Möchtegern-Gangstern (vor allem aus Berlin) sichtbar, wie unter einem Brennglas. „Dabei ist nicht entscheidend, ob all die deutschen Gangster-Rapper in schwierigen Verhältnissen groß geworden sind oder nicht. Entscheidend ist vielmehr, dass da keiner ist, der versuchen würde, die aktuelle Situation zu verändern. (…) Und zugleich ist keiner da, der dieses harte Leben in einer Art und Weise beschreiben könnte, dass es nachvollziehbar würde, (…) auch hier ist nichts außer Klischees und großen Worten: Alle sind gegen mich! Ich mach euch fertig! Ich zeigs euch! Ich komm von ganz unten! Während Hip Hop in den USA ein Weg war heraus aus dem Ghetto, kokettiert Hip Hop in Deutschland mit dem Ghetto-Feeling. (…) Dabei geht es nicht um Texte, sondern um Biographien. Und weil das so ist, messen sich Deutschlands Rapper nicht in ihrer eigenen Kunst, dem Rap, sondern mit ihren echten oder erfundenen kriminellen Taten. (…) Ein Wettstreit um Authentizität möchte man meinen.“ Aber dass es das nicht ist, wird jedem klar, der sich auch nur einen Moment lang mit der Situation in den USA beschäftigt hat, denn „das ist es, was einen Rapper authentisch und real macht, diese Rückbindung an sein Viertel, an seine Vergangenheit, dass er versucht, die sozialen Verhältnisse dort zu ändern.“ Hip Hop war, wie gesagt, in den USA immer ein Weg, diese sozialen Verhältnisse zu überwinden, „in Deutschland führt Hip Hop, wie er von den Berliner Krawall-Rappern verkörpert wird, geradewegs hinein in die Misere.“
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