Samstag, 7. April 2007

Trainspotting


„Sag ja zum Leben, sag ja zum Job, sag ja zur Karriere, sag ja zur Familie. Sag ja zu einem pervers großen Fernseher. Sag ja zu Waschmaschinen, Autos, CD-Playern und elektrischen Dosenöffnern. Sag ja zur Gesundheit, niedrigem Cholesterinspiegel und Zahnzusatzversicherung. Sag ja zur Bausparkasse, sag ja zur ersten Eigentumswohnung, sag ja zu den richtigen Freunden. Sag ja zur Freizeitkleidung mit passenden Koffern, sag ja zum dreiteiligen Anzug auf Ratenzahlung in hunderten von Scheiß-Stoffen. Sag ja zu Do-it-yourself und dazu, dass Du am Sonntagmorgen nicht mehr weißt, wer du bist. Sag ja dazu auf Deiner Couch zu hocken und Dir hirnlähmende Gameshows reinzuziehen, und Dich dabei mit scheiß Junk-Frass vollzustopfen. Sag ja dazu, am Schluss vor Dich hinzuverwesen, Dich in einer elenden Bruchbude vollzupissen und den missratenen Ego-Ratten von Kindern, die Du gezeugt hast, damit sie Dich ersetzen, nur noch peinlich zu sein. Sag ja zur Zukunft, sag ja zum Leben. Aber warum sollte ich das machen? Ich habe zum ja sagen nein gesagt. Die Gründe? Es gibt keine Gründe. Wer braucht Gründe, wenn man Heroin hat?“

Es gibt keinen Film, den ich in meinem kurzen Leben so oft gesehen habe wie Trainspotting. Die Geschichte um Rents, Sick Boy, Begbie und Spud, die im Schottland der ausgehenden Achtziger und frühen Neunziger Jahren spielt, habe ich inzwischen exakt vierzehn Mal gesehen. Was mich immer wieder an der Geschichte fasziniert? Ich hatte wohl schon immer eine Vorliebe für Geschichten von Verlierern, Menschen, die gescheitert sind, die sich der Gesellschaft entsagt haben, die abseitige Wege beschreiten, die Nein sagen. Und dieses Kleinod der Neunziger hat es mir vielleicht deshalb so angetan, weil es radikal ist, weil es unterhaltsam und zugleich erschreckend ist. Sich für ein Leben mit Heroin zu entscheiden ist sicher alles andere als eine intelligente Entscheidung, der Film ist auch gewiss keine Verleitung zum Drogenkonsum: „das sieht so aus, als ob es ganz easy wäre, aber das ist es nicht, es sieht aus wie der bequeme Weg, als würde man eine ruhige Kugel schieben, aber so zu leben ist ein Fulltimejob.“

Viel über die Geschichte zu verlieren, wäre unnötig, da es wohl kaum jemand gibt, der sie in den elf Jahren, die der Film inzwischen auf dem Buckel hat, noch nicht gesehen hätte, sie ist ein Klassiker – und einer DER Filme der Neunziger. Dass in einem geschätzten Viertel aller WG-Klos, die ich bisher aufgesucht habe, obiges, die legendäre Szene auf dem "beschissensten Klo Schottlands" widerspiegelnde Poster hing, spricht wohl für sich. Der Film beschreibt – eingebettet in einen grandiosen Soundtrack - alle Höhen und Tiefen im Leben eines Junkies, und zugleich die Ambivalenz von Rents, den Versuch, doch noch irgendwie den Weg in ein normales Leben zu finden, er erzählt von Hoffnungslosigkeit, Aggression und Lebensgier. Das schafft der Film, ohne sentimental zu werden, ohne mit dem pädagogischen Finger zu zeigen, ohne die Droge Heroin zu glorifizieren.

Nein, der Film will unterhalten, aber zugleich zum Nachdenken anzuregen, er ist mit einem sehr trockenen, schwarzen Humor versehen – und zeigt zugleich, wie erbarmungslos Heroin Menschen zerstören kann. Dass er diese Balance hält zwischen Coolness und Grauen, zwischen Verständnis und Abscheu, das ist es wohl, was ihn zu einem wahrhaft großen Film macht. Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Irvin Welsh, der in ziemlich derber Sprache die dreckige Seite von (Leith, einem schmuddeligen Stadtteil von) Edinburgh thematisiert, gelang hier dem Regisseur Danny Boyle nicht nur eine kleine, wenn auch etwas ungewöhnlich Hommage an das (eigentlich wunderschöne) Schottland - "ich scheiß drauf Schotte zu sein, wir sind der letzte Dreck, der Abschaum der Menschheit, das erbärmlichste, jämmerlichste, unterwürfigste Gesindel, das jemals ins Leben geschissen wurde. Manche Leute hassen die Engländer, ich nicht, das sind ja nur Wichser. Wir dagegen haben uns von Wichsern kolonisieren lassen, wir konnten uns nicht mal von einer anständigen Zivilisation erobern lassen, beherrscht von degenerierten Arschlöchern, das ist ein scheiß Zustand" (Rents) - er erschuf auch einer der wohl besten (Drogen-)Filme aller Zeiten…

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Das ist mit Abstand die beste Filmkritik die ich jemals gelesen habe.
Vielen Dank für diese wunderbaren Worte.

:)

Alles Liebe,
mamamahr