Donnerstag, 26. April 2007

"Die neurotische Nation"


Nach langen Jahren habe ich mir heute mal wieder aus Interesse (man sollte ja wissen, was der politische Gegner so denkt) die aktuelle Ausgabe der JUNGEN FREIHEIT, dem Zentralorgan aller Rechtsintellektuellen und solcher, die es noch werden wollen, gelesen. Dabei habe ich mich erwartungsgemäß an vielem gerieben, was dort in ein durchaus angenehmes Layout verpackt wurde, aber eine Sache stieß mir dabei mir dabei ganz besonders auf. Gleich auf der ersten Seite befindet sich ein Artikel über "die neurotische Nation" (der auch kostenlos auf deren Homepage verfügbar ist), in dem auf intellektuell durchaus hohem Niveau über das mangelnde Geschichtsbewusstsein der Deutschen sinniert wird. Die Quintessenz des Artikels: Wir befänden uns inzwischen in einer geschichtlichen Phase, in welcher der positiv besetzte bundesrepublikanische "Aufbaumythos" schon durch die Katastrophe des Holocaust als Gründungsmythos der Nation ersetzt wurde, und nun verstärkt nationale Artefakte banalisiert oder abgeschafft werden. Dieses ungesunde Verhältnis zur eigenen Nation - die Negierung des eigenen Selbst - führe letztlich zu seiner Schwächung: "Da im Trauerkultus und im Gedenken auch "die Dauer des menschlichen Wesens (über) die Verwesung" triumphiert, fordern ihre Leugner ihr eigenes, furchtbares Schicksal heraus. Denn welchen Grund haben sie den Nachkommenden hinterlassen, an ihnen einmal besser zu handeln? Während sie noch leben, vollzieht sich an ihnen bereits symbolisch eine Verwesung. Eine Ansammlung derartiger Individuen kann auf längere Sicht weder einen Staat noch eine Nation, auch keine Kultur-oder verfassungspatriotische Gemeinschaft bilden." So weit, so kritisch.

Aber ein Blick in den Kulturteil dieser jener berüchtigten Wochenzeitung lässt mich da doch an der Ernsthaftigkeit der Thesen zweifeln, befinden sich doch unter den vom JF-Buchdienst angeboten Büchern nahezu ausschließlich solche, die sich mit diesen verfluchten zwölf dunkelsten Jahren deutscher Geschichte beschäftigen. Schlägt da der kollektive Neurotizismus auf Redaktion und Leserschaft zurück? Oder ist es vielleicht gerade die Rechte, die das Gefühl hat, sich zwanghaft selbst vergewissern zu müssen, dass die Deutschen immer noch ein Recht auf nationale Selbstbestimmung und -bewusstsein haben (und damit wunderbar selbst an jener Perpetuierung der Auseinandersetzung teilnimmt), anstatt die Jahre des Dritten Reichs einfach zu akzeptieren und dem angeblich zu konstatierenden Opfermythos mit einem Geschichtsbewusstsein zu begegnen, das den Horizont über jene zwölf Jahre hinaus ausdehnt?

Dass die Rechte in Deutschland ein europaweit einmaliges Strukturproblem hat mag sicher eine Folge der Tabuisierung rechtsextremen Gedankengutes sein, welche natürlich auch auf alles zurückfällt, was tatsächlich jedoch "nur" rechtskonservativ ist. Das ist in der Tat ungesund. Aber ein anderer, mindestens genauso bedeutender Grund mag sein, dass sie hierzulande nie so recht mit ihren Paradoxien vernünftig umzugehen vermochte und im Endeffekt selbst jenem Phänomen anheimfiel, das sie doch im "politisch korrekten" Deutschland so sehr beklagt. Mich als Linken sollte das eigentlich freuen, im Umkehrschluss jedoch befördert die Tabuisierung natürlich auch eine Stigmatisierung, welche wiederum eine Radikalisierung zur Folge haben kann. Dies wäre ein möglicher Grund, weshalb sich gerade eine sozialrevolutionär-anti- kapitalistische Anti-System-Partei wie die NPD etablieren kann, während im restlichen Europa beinahe durchweg bürgerlich- wohlstandschauvinistische System-Parteien den Weg in die Parlamente fanden.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hallo Zeittotschläger,

warum Caspar David Friedrich (steht das im Zusammenhang mit der progressiven Universalpoesie)?

Bitte um Erklärung. In diesem Sinne schließe ich mit einem fröhlichen "Leberkäs-Hawaii" an euch alle.
Th. Mann

Mathias Ellwanger hat gesagt…

Hallo Th. Mann,

schön, von dir zu hören. Der "Wanderer über dem Nebelmeer" erschien mir deswegen so passend, weil ihn die rechtskonservative Postille (umrahmt von wehenden Deutschlandfahnen des letzten Sommers) auf ihren Titel über eben jenen Artikel gepackt hat. Irgendwie bekam ich die Assoziation nicht mehr weg - auch da ich dieses Bild als (frag mich nicht warum) schon immer recht deutsch empfunden hatte - und kopierte es einfach...

Übrigens hat das Blättchen meinen (inhaltlich wesensgleichen) Leserbrief in ihrer letzten Ausgabe tatsächlich abgedruckt. Irgendwie schade, dass mein kostenloses Probeabo diese Woche schon wieder vorbei ist. Denn die Auseinandersetzung mit dem Gegner schärft das Bewusstsein für eigene Schwächen und Fehler...